Schwarze Sonnen, Sprachanatomie
Neue Lyrik aus österreich - ein Streifzug
Die fragilste der literarischen Formen gilt gemeinhin als deren teuerste - und dies im zwiefachen Sinn: Die Randständigkeit der Lyrik abseits des ökonomischen Gewinns steht in direkter Proportion zu der hohen symbolischen Wertschätzung, mit welcher man sie - wenn auch oft eher theoretisch - bedenkt. Gegenstand komplizierter verlegerischer Querfinanzierung, scheint die Dichtung nach wie vor das Zeug dazu zu haben, als Form von Eigentlichkeit oder als eigentliche Formung anerkannt zu werden. Eine Reihe poetischer Neuerscheinungen österreichischer Autoren erweist, wie divers sich Lyrik ansehen und angehen lässt. Taucht Wolfgang Hermann in seelische Aggregate, entäussert sich Birgit Müller-Wieland im expressiven Schrei. Skizziert Martin Amanshauser Figuren urbaner Kläglichkeit, webt Oswald Egger weiter an einer poetischen Ontologie. Hansjörg Zauners Exerzitien in Erkenntnisarbeit sind nicht minder genuin lyrisch zu nennen als Elfriede Czurdas distanziertes Formenspiel.
Schattenwürfe der Melancholie
Dunkel sind die Zonen, zu welchen Wolfgang Hermann mit seinen Gedichten «Ins Tagesinnere» vorstösst, und dunkel bleibt auch das Subjekt, welches in Andeutungen spricht. Skizziert der Vorarlberger durch sechs Zyklen hindurch die Schattenwürfe der Melancholie, so enträt er dabei jedweder Larmoyanz. Als ginge es darum, nach schwerem Schock und in tiefer Nacht die Möglichkeit wiederzufinden, überhaupt zu Worte zu kommen, legt Hermann eine tastende Stimmspur («seelenseiden») durch die Sandwüste der Stille: «die verletzten hände im nacken / bist du bilderstaub / hirntier weglos». Nicht nur der Welt, auch sich selbst abhanden gekommen, ist sich das Ich nicht einmal mehr seines Namens gewiss: Ein «ohne-namen-stern» gibt das wenige Licht, das ihm geblieben ist. Der Saturniker versteht sich auf die strahlenden Tonalitäten der Nacht («schwarzstern», «schwarzstein», «schwarzsonne») und spielt wiederholt auf die Diktion Paul Celans an: «erdulde die brechung. kehre zurück / in die lichtbeuge / sammle dich zur letzten / zur grossen passage».
Nicht minder schwerblütig sind die Umstände zu nennen, unter welchen die Oberösterreicherin Birgit Müller-Wieland poetisch «Ruhig Blut» zu bewahren sucht. Fundamentale Konstellationen («Vatergrab», «Mutterhaus») modellieren die bedrängende Landschaft einer unheimlichen Heimat, deren Stickstoff-Miasmen tief und giftig in das Individuum eingedrungen sind. Wo keine Alternative zu solcher Beklemmung ist, mag auch der Engel keine frohe Kunde zu geben: «Ruhig Blut es / ist kein Räuber es // poltert doch nur / unser Engel ums // Haus (. . .) / unser // dunkler Engel der / fliegt nicht nach // oben der braucht keine / Luft der pflügt in der // Welt unten den Weg / durch Erde und Fleisch da // stehen selbst / die letzten // Würmer / stramm.» Was die Autorin mit dem Kunstgriff des konsequenten Enjambements komponiert, lässt keinen Vers je zu Atem kommen. Das Ringen der Stimme um ein kommendes Wort vermittelt noch in der stillen Lektüre eine würgende physische Angst. Unzweifelhaft akzentuieren diese Gedichte, dass es kein Haus, keine Heimat gibt, welche Schutz und Unterschlupf zu bieten vermögen gegen böse Engel und deren irdische Abgesandte. Tod und Verfall im Kerker des Seins: So körperlich, so unheimlich bedrängend Birgit Müller- Wieland die vanitas mundi aus dem trüben Licht einer «Nachtsonne» schält, sucht diese unsentimentale Stimme zurzeit ihresgleichen.
Martin Amanshauser indes pfeift auf Metaphysik und lässt seinen poetischen Pegasus über bodennahe Angelegenheiten traben. Dem Prosaisten, dessen romaneske Querschüsse durch den Wiener Grind nicht nur bei Ortskundigen Anklang fanden, drängt's nun nach Entäusserung des gesammelten lyrischen Ich. Da die Gedichte des 1968 Geborenen bis ins Jahr 1985 datieren, dürfen wir The Making of A Poet von Anbeginn an verfolgen. Was immerhin die Einsicht gibt, dass Amanshauser seit je Freund des Unsublimierten gewesen ist und ein Minnesänger der Tücke des Objekts. Wo dem Menschen die Ordnung der Dinge nicht gegeben ist, humpeln auch die Versfüsse in absichtsvoller Kläglichkeit: «und tauche einen Lipton Teesack ein in heisses Wasser / und das Wasser wird wieder nicht braun». Abwaschwasser und ein ozeanisches Gefühl: In «Du bist so ausverkauft wie 100 000 Exemplare» lehnt sich der Titel an eine universale Katerstimmung an. Wo der Gedichtsammlung 100 Worte besser als 1000 angestanden wären, bleibet die öde des Alltags unverrückbar bestehen: «Langsam wird es drüben wieder leiser / meine Nachbarn lachen blond. / Mein Kühlschrank kühlt 2 Paradeiser, / nackt wie ich; vom Warten rund.»
Der Sang der Wörter
Den Sphären einer Dichtung «an sich zugewandt», erarbeitet Oswald Egger seit Jahren eine umfassende poetische Textur, welche den Sang der Wörter in den Klang der diskursiven Rede knüpft. Nach den 1999 erschienenen Bänden «Herde der Rede» und «Der Rede Dreh» führt nun die Sammlung «Nichts, das ist» das Projekt einer Seinsbestimmung der Poesie fort. Selbstredend kann bei solchem Unterfangen nur wortreich dahingestellt bleiben, was recht eigentlich die Dichtung sei: Sagen und - im Falle Oswald Eggers - immer wieder zeigen lässt sich allenfalls, dass sie ist. «Es widerspricht den Gedichten, nicht zu sein», lautet der Refrain eines polyphonen Liedes, dessen Stimmen auch im Satz parallel gefügt sind. Die resultierenden Interferenzen sind mit List vorbedacht und akzentuieren jenen «Moiré»-Effekt, welcher dem Egger'schen Sprachspiel absichtsvoll eingeschrieben ist. Im wendigen Drehen der Rede versetzt Egger das (allen möglichen Regional-, Haupt- und Nebensprachen entlehnte) Wortmaterial in eine Trift, deren Reiz jenseits der triftigen Gründe des logischen Sinnes liegt. Mag man sich streiten darüber, ob dieses Singen «dunkel» sei, ob im Gegenteil höchst «luzide» oder vielleicht beides zugleich: Der leichte «Schwindel», welchen Oswald Eggers verbale Vexierspiele zeugen, ist ebenso lustvoll geniessbar wie ihre weit ausschwingende und diskrete Melodie.
In der Form entgegengesetzt, im Geiste jedoch ebenso einer poetischen Grundlagenforschung verpflichtet, legt der in Wien lebende Oberösterreicher Hansjörg Zauner eine Bilanz seiner jüngeren Arbeit vor. Schon der Titel «luft verkehrt stock papier» verweist in Inhalt und Form auf des Autors Intention, mit den überkommenen Weisen des (lyrischen) Sprechens zu brechen. Als hielte dieser Dichter keine Feder in Händen, sondern eine Axt, zerhackt Zauner den Körper der Aussage in deren Grundelemente, um diese beim Worte zu nehmen: «mit fingern schreibe ich / in bleistifte hinein». In Wittgenstein'schem Geiste - und auf wohltuend wenig gefallsüchtige Weise - geht Zauner den Regeln des Sprachspiels nach. Wo sich in Thema und Permutation das Objekt zum Handlungsträger des Satzes aufwirft, springt nicht selten einiges Komisches, in jedem Falle aber Erhellendes heraus: «Immer kleben worte darüber / fallen schneller herunter / und saugen auf was ist.»
Neben der schroffen Laborarbeit Zauners, neben Eggers poetischer Ontologie, neben dem drängenden Bilderkampf von Wolfgang Hermann und Birgit Müller-Wieland nimmt sich Elfriede Czurdas Gedichtsammlung «Wo bin ich wo ist es» sonderbar linkshändig aus. Hat sich die in Berlin und Wien lebende Autorin mit hoch konzentrierter Prosa einen Namen gemacht, so handhabt sie die Lyrik als distanzierte Spielerei. Das ansehnlich gestaltete Bändchen präsentiert exercises de style in Sachen konkreter und Lautpoesie, Silben- Wirr-Spielen und augenzwinkerndem «Oulipo»- Systemzwang. Klapphornvers steht neben jokosem Schnodderton, auch der expressionistischen Metropolendichtung wird Reverenz gezollt. Elfriede Czurdas poetisches Spiel setzt manch muntere «buchstabencollegerey» in Szene, welche - obzwar kurzweilig zu lesen - dennoch nicht zur Lektüre für Minuten herhalten mag.
Christiane Zintzen